Simon Froehling – Dürrst
Simon Froehling – Dürrst

Simon Froehling – Dürrst

Gesund genug für die Liebe

CW: Bipolare Affektstörung, Drogenkonsum, Queerfeindlichkeit, Selbstverletzung, sexuelle Gewalt, Suizidversuch

Simon Froehlings zweiter Roman Dürrst handelt von Andreas Durrers Tanz mit dem Leben. Als „Dürrst“ geht er, in Auflehnung gegen sein Elternhaus der Züricher Oberschicht, der Kunst nach und erreicht mit zwei Ausstellungen bereits früh großen Erfolg. Dennoch hat dies seinen Preis – mit 16 Jahren der Bruch mit den Eltern, auch aufgrund der Queerfeindlichkeit des Vaters, die daraus resultierende finanzielle Unsicherheit, die Sexarbeit in den Klappen, um sich durchzuschlagen, um den Eltern etwas heimzuzahlen, um die Gefahr und die Macht über die Männer zu spüren. Mitgerissen vom Höhenflug des Erfolgs, im Strudel durchfeierter Nächte, die in den Betten fremder Männer auf der ganzen Welt enden, droht Dürrst zu ertrinken. Der Aufprall in der psychiatrischen Klinik als Zäsur; die Diagnose: bipolare Affektstörung. Man darf als Leser*in den Protagonisten dabei begleiten, wie er es wieder in sein Leben, auch wenn es ein anderes als vorher ist, schafft. Struktur durch Routinen und der Glaube, gesund genug für die Liebe zu sein, führen ihn zu Paul und einem Neuanfang: Die Kunst hat Dürrst wieder.

Froehling verhandelt anhand der Figur Dürrst psychische Krankheiten, speziell die bipolare Affektstörung. Phasen der Manie werden verfolgt vom Fall in die Depression. Letztere wird anschaulich beschrieben als:

ein Hund, ein schwarzer. Er lief mir schon in der Kindheit zu. Wenn er kommt, ist es Zeit, dich ins Bett zu legen und zu warten, denn er lässt sich nicht aufscheuchen, wegjagen, verbannen. Du nimmst an, der Hund hat mehrere Meister, da er genauso plötzlich verschwindet, wie er auftaucht. Aber wenn er kommt, bleibt er meistens lange. Das Einzige, was du an ihm magst – dass du ihn kennst. Und vielleicht, wie sein Fell riecht an besseren Tagen.

Man begleitet den Protagonisten anhand diverser Rückblenden durch eine Odyssee der verschiedenen Diagnosen, Therapiestunden und Klinikaufenthalte. Dürrsts Rückhalt ist seine Wahlfamilie aus Freund*innen, die sich sorgt und einschreitet, wenn ihn die Depression zu fest im Griff hat, aber auch Angst hat, wenn die Manie überhandnimmt – „du würdest […] entgleiten, würdest […] davonschweben auf einem deiner Höhenflüge.” Dieses Spannungsfeld einer psychischen Erkrankung zwischen der betroffenen Person und ihrem Umfeld schildert der Autor eindrücklich und ergreifend.

Simon Froehling reflektiert mit Dürrsts Stimme auf gewandte Art in inneren Monologen über Habitus und Zugehörigkeit zu sozialen Klassen, kulturelle Doppelmoral, die verheerenden Folgen von Männlichkeitsvorstellungen und die Diskrepanz zwischen Gesellschaftskritik durch Kunst und Kunst im Kapitalismus. All diese Feststellungen sind organisch in die Erzählung eingeflochten, sodass sie nie dogmatisch als Tirade daherkommen, sondern als gekonnt platzierte kluge Beobachtungen.

„Ich bin stabil. Ich bin gesund.“
„Du bist chronisch krank. Egal, wie stabil du dich momentan fühlst.“

Der Roman ist ausschließlich in der zweiten Person Singular geschrieben – damit wird gleichzeitig eine Nähe und eine Distanz zwischen Autor, Protagonist und Leser*in geschaffen. Man wird in der Lektüre direkt angesprochen und wehrt sich dennoch innerlich dagegen, Dürrsts Geschichte als die eigene anzunehmen. Der Autor erzeugt dadurch geschickt eine potenzierte Auseinandersetzung mit dem Text. Die unterschiedlichen Zeitebenen, in denen Dürrsts Geschichte erzählt wird, werden immer verwobener und schwerer voneinander zu unterscheiden. Somit gelingt es Froehling den*die Leser*in sogartig in die Erzählung zu ziehen. Besonders in den Höhen, aber auch in den Tiefen, die Dürrst durchlebt, schwingt sein unverkennbarer Ton mit – ein bisschen aufmüpfig, eitel, aber immer ehrlich mit sich selbst. Dieser Ton macht die Figur so liebenswert und lässt die aufgezwungene Nähe durch die Du-Perspektive gut aushalten.

2022 war der Roman für den Schweizer Buchpreis nominiert und erschien damals bei Bilger – nun folgt bei Diogenes das Taschenbuchformat. Auf dass Dürrst nun im wunderschönen Kleid eines neuen Covers eine weitere Leser*innenschaft um sich scharen kann, die diese mitreißende Erzählung kennen und schätzen lernen darf.

von Michaela Minder

Simon Froehling
Dürrst
Diogenes 2024
288 Seiten
14,00 Euro
ISBN: 978-3-257-24747-3

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